salut : tschüss ! 4. Marynelle Debétaz

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In unserer neuen Rubrik «salut : tschüss !» sprechen wir mit Menschen aus der Bieler Kunst- und Kulturszene. Entweder – salut – sind sie neu in der Stadt oder – tschüss – verlassen Biel für neue Abenteuer. Ab und an nehmen wir auch ein kleines Jubiläum zum Anlass und sprechen mit jemandem beispielsweise über das erste Bieler Jahr.

Heute stellen wir unsere Fragen Marynelle Debétaz, ehemalige Direktorin und künstlerische Leiterin von Nebia · Bienne spectaculaire.

Marynelle Debétaz, Sie waren während 15 Jahren, von 2009 bis 2024 Direktorin des Nebia. Wie hat sich die Theaterlandschaft in Biel und der Region in diesen 15 Jahren verändert?

Sie hat sich stark entwickelt, diversifiziert, professionalisiert und über Netzwerke und Kooperationen nach aussen geöffnet. Biel ist ein Bienenstock voller künstlerischer Projekte: Immer mehr Kunstschaffende, vor allem im Bereich der darstellenden Künste, lassen sich hier nieder und tragen zur Dynamik der Stadt bei. Viele ungewöhnliche, ehrgeizige und originelle Projekte haben die Aufmerksamkeit auf Biel gelenkt. Das hat auch dazu beigetragen, dass die Stadt ein besseres Image bekommt.

Die Zusammenarbeit mit anderen kulturellen und sozialen Institutionen hat sich ebenfalls entwickelt. Die Theaterlandschaft ist Teil einer grösseren Kulturlandschaft, die in ihrer Gesamtheit zum Wohlbefinden der Bielerinnen und Bieler und zur Ausstrahlung der Stadt beiträgt.

Auch das Publikum hat sich gewandelt. Es ist vielfältiger und gemischter in Bezug auf Sprache, Alter, kulturelle und soziale Herkunft. Es ist eine ständige Herausforderung, dafür zu sorgen, dass sich alle in den Kultureinrichtungen zu Hause fühlen, und die Neugier des Publikums (und des potenziellen Publikums) zu wecken, um es auf Entdeckungsreise zu schicken.

Die Stellung der Frauen auf der Bühne und hinter den Kulissen hat sich erfreulicherweise verbessert. Ausserdem sind Themen wie Umweltschutz und die Unsicherheit der künstlerischen Berufe mehr in den Fokus gerückt. Das führt dazu, dass sich die Praktiken weiterentwickeln. Aber die Unterstützungssysteme, die Verteilung und Zuweisung der nötigen Gelder sowie die Kulturpolitik, die den Dialog für ein gutes Funktionieren des gesamten kulturellen Ökosystems fördert, müssen sich noch weiterentwickeln.

Die Institutionen sollten ihre Rolle als Partner und Sprungbrett für die Kunstschaffenden wahrnehmen und ausbauen und für die gesamte Bevölkerung möglichst breit öffnen.

Ich bin froh und dankbar, dass sich die Kulturlandschaft in den letzten fünfzehn Jahren so entwickelt hat, aber wir haben immer noch eine Menge zu tun!

In 15 Jahren Nebia ist viel passiert: ein neuer Name, ein neuer Theatersaal und viele andere Herausforderungen. Sie haben mit ihrem Engagement das Nebia in der Schweizer Theaterlandschaft bekannt gemacht. Welche Highlights aus diesen Jahren möchten Sie hervorheben?

Ehrlich gesagt war kein Jahr wie das andere. Es gab so viele verschiedene Herausforderungen. Als ich angefangen habe, ging es darum, ein interjurassisches Theater aufzubauen, und ich habe mich voll reingehängt für diesen Austausch in der Region. Die Idee, gemeinsam in neue Wände zu investieren, hat sich zwar nicht realisiert, aber das neue fOrum culture ist aus diesem Austausch entstanden. Es hat viele tolle Projekte ermöglicht, die für die regionale Landschaft der darstellenden Künste wichtig sind. Leider wurde die Entwicklung eines Theaters auf Berner Gebiet nicht in gleichem Masse unterstützt wie das neue jurassische Theater. Man arbeitet sehr gut und mit viel Enthusiasmus zusammen, aber eben nicht mit den gleichen Mitteln.

Die Renovierung des alten Palace war ein grosser Schritt und das Ergebnis langer Kämpfe (an die anfangs kaum jemand glaubte). Wir mussten uns von einem dualen Kino-Theater-System trennen, das mit einem zeitgenössischen Theater nicht vereinbar war. Dann mussten wir die Behörden und die Bieler Bevölkerung davon überzeugen, in die Renovierung zu investieren. Dabei mussten wir den grössten Teil des Geldes anderweitig beschaffen. Die Begeisterung der Bevölkerung für das Crowdfunding-Projekt war echt super! Meine Beteiligung an den Arbeiten zur Ermittlung der Bedürfnisse der Hauptnutzenden war intensiv und lehrreich.

Gleichzeitig haben wir das wunderbare Théâtre de Poche übernommen und uns der Herausforderung gestellt, es wieder aufleben zu lassen und ein Publikum zu gewinnen. Und das mit weniger Subventionen als zuvor! Das war eine grosse Chance, das Programm zu diversifizieren und der frankophonen Musik wieder einen festen Platz einzuräumen.

Die Zweisprachigkeit ist ein grosser Reichtum von Biel, bringt aber auch eine grosse Komplexität mit sich, nicht nur in der Kommunikation. Die Systeme der darstellenden Künste sind sehr unterschiedlich zwischen der Kultur der deutschsprachigen Stadttheater und dem System der Romandie. Dort arbeitet man ständig mit der sogenannten freien Szene (die es auch auf der deutschsprachigen Seite gibt, aber weniger entwickelt ist). Es war nicht immer einfach, den vorrangigen Bedürfnissen eines Gasttheaters Gehör zu verschaffen, das auch das regionale freie Schaffen unterstützen soll. Die wichtige und langwierige Arbeit, die Brücken zwischen der deutsch- und französischsprachigen Kultur zu schlagen und das gegenseitige Verständnis zu fördern, die auf einer viel breiteren Ebene als in Biel stattfindet, wird kaum berücksichtigt.

Die Entwicklung und Durchführung einer Saison ausserhalb des Hauses und die verschiedenen aussergewöhnlichen Projekte, die danach an ungewöhnlichen Orten weiter entstanden, bilden eine Sammlung verrückter Momente. Und dann war da noch die Umstellung auf den neuen Namen Nebia · Bienne spectaculaire, der Nebia und Nebia poche vereint. Das war schon eine echte Herausforderung!

Am Ende bleibt der grösste Kampf – der nie beendet oder gewonnen wurde, aber immerhin Fortschritte macht – der Kampf für ein gesünderes Ökosystem, das sich um die Menschen kümmert. Der Druck auf die Kulturschaffenden in Biel (natürlich nicht nur im Nebia) ist immens, mit viel weniger personellen und finanziellen Ressourcen als in anderen Städten und zusätzlichen Herausforderungen wie der Zweisprachigkeit. Ich ziehe meinen Hut vor den kulturellen Heldinnen und Helden dieser Stadt, die tagtäglich Berge versetzen. Man sieht die kulturelle Dynamik von Biel, aber die Arbeit im Hintergrund ist gigantisch.

Sie waren vor ihrer Zeit im Nebia viel im Bereich Kino tätig und engagiert. Dann im Nebia im Bereich Theater. Werden Sie sich nun einem neuen Bereich der Kulturlandschaft zuwenden? Oder welche Zukunftspläne haben Sie nun?

Ich habe mich auch viel mit kulturpolitischen Fragen beschäftigt, schon vor Nebia, während meines Studiums und natürlich in den 15 Jahren als Direktorin. Es ist ein Bereich, der mich nach wie vor fasziniert, in dem ich mir viel Wissen und Kompetenz angeeignet habe, und das in mehreren Sprachregionen.

Ich interessiere mich für Kultur im Allgemeinen und für Projekte, die sich für das Gemeinwohl einsetzen. Vor allem ist es mir wichtig, mich in sinnvollen Projekten zu engagieren, die eine klare Vision haben, meinen Werten entsprechen und in denen man sich gemeinsam um die Menschen kümmert. Ich habe in einer relativ kleinen Struktur gearbeitet und deren Entwicklung begleitet. Das hat mich in verschiedenen Bereichen weitergebracht. Ich finde es toll, wenn es Raum für Reflexion, Strategie und Kreativität gibt, wo jeder seinen Platz finden und seine Kräfte für gemeinsame Ziele einsetzen kann. Ich begleite gerne, baue Brücken, arbeite hinter den Kulissen, um Projekte möglich zu machen und bin hungrig darauf, noch mehr zu lernen. Es ist mir egal, in welchem Bereich ich lerne, solange das Ziel es wert ist.

Momentan wohnen Sie noch in Biel. Werden Sie in Biel bleiben oder zieht es sie woanders hin?

Ich bin 2009 wegen dem Nebia nach Biel gezogen und habe die Stadt sehr schnell liebgewonnen. Ich habe mich hier sehr engagiert und viele Kontakte geknüpft, auch ausserhalb vom Nebia. Mein Partner ist mir 2009 gefolgt. Inzwischen hat er hier seine Firma aufgebaut und wir haben eine Tochter, die gerade eingeschult wurde. Ich habe Biel wirklich in mein Herz geschlossen.

Allerdings hat meine Arbeit immer einen sehr wichtigen Platz in meinem Leben eingenommen, und die Verbundenheit mit der Region geht für mich einher mit bestimmten Arten von Arbeit (wie die im Nebia). Wenn ich also hier keine interessanten beruflichen Möglichkeiten finde und sich anderswo Türen öffnen, bin ich bereit weiterzuziehen, und ich weiss, dass ich auf die Unterstützung meines Umfelds zählen kann. Mein Beruf hat mich kreuz und quer durch die Schweiz geführt, deshalb fühle ich mich auch an anderen Orten wohl.

Was wünschen Sie sich noch für die Bieler Kultur?

Sie sollte ihren Schwung, ihre Kreativität und ihre Dynamik behalten, aber nicht ständig am Rande der Erschöpfung und in prekären Verhältnissen leben.

Jede Institution sollte sich mit ihrer Vision und ihren Werten auseinandersetzen und sich regelmässig die Frage nach ihrem Platz und ihrer Rolle in einer sich wandelnden Kulturlandschaft (neu) stellen. Alle sollten die Rolle und Verantwortung gegenüber Kunstschaffenden, Publikum und Partner*innen hinterfragen und dabei auch auf das Wohlergehen ihrer Teams achten. Kurz gesagt, dass man sich die Zeit nimmt, einen Schritt zurückzutreten.

Wir sollten unsere Strukturen hinterfragen, um ein gesundes kulturelles Ökosystem zu schaffen. Alle, die sich kulturell engagieren, sollen wertgeschätzt und so gut wie möglich unterstützt werden.

Wir wollen den Austausch und das Verständnis fördern, sowohl in Biel als auch darüber hinaus. Das gilt für die Kulturschaffenden untereinander, aber auch für die Zusammenarbeit mit der Politik und anderen Partner*innen. Wir sollten unsere Neugier pflegen und nähren.

Die Kultur ist ein riesiges Spielfeld, viel grösser als Biel. Wir sollten uns die Mittel geben, um fair miteinander zu spielen, indem wir die Spielregeln respektieren und dazu beitragen, sie, wenn nötig, den Entwicklungen anzupassen. Ich fänd's gut, wenn sich Biel in dieser Hinsicht engagieren würde.

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Marynelle Debétaz, ehemalige Direktorin und künstlerische Leiterin von Nebia · Bienne spectaculaire